19. September 2023

Lesezeit: 9 Minuten

Als Reaktion auf die wachsende Komplexität und Fragmentierung des digitalen Binnenmarktes hat die Europäische Union am 27. Oktober 2022 den Digital Services Act (DSA) im Europäischen Amtsblatt veröffentlicht. In der deutschen Übersetzung als „Gesetz über digitale Dienste“ bezeichnet, zielt der DSA darauf ab, die Haftung und besondere Sorgfaltspflichten für digitale Vermittlungsdienste zu regeln. Die EU möchte damit mehr Sicherheit und Verantwortung im Online-Umfeld erreichen.

Die rasante Entwicklung der digitalen Welt hat zu einer zunehmenden Zersplitterung der rechtlichen Rahmenbedingungen für digitale Angebote geführt. Der DSA soll dieser Fragmentierung entgegenwirken und klare sowie einheitliche Regeln für Online-Vermittlungsdienste schaffen. Ziel des DSA ist, verantwortungsbewusstes Verhalten von Diensteanbietern fördern, um Grundrechte wie Meinungsfreiheit und Verbraucherschutz zu gewährleisten und gleichzeitig den digitalen Binnenmarkt zu stärken. Ob dieses Ziel erreicht wird, ist mit Blick auf die erhebliche Rechtsunsicherheit, die der DSA mit sich bringt, mindestens fragwürdig.

Der DSA folgt einem stufenweisen Aufbau. Beginnend bei Vermittlungsdiensten entstehen Pflichten, die sich kumulativ je nach Umfang des Angebots des jeweiligen Dienstes und daraus resultierenden weiteren Klassifizierung des Dienstes bis hin zur „sehr großen Plattform“ ergänzen. Besonderheiten bestehen für Anbieter von Suchmaschinen. Positiv zu betonen ist, dass der DSA die bisher bestehenden Haftungsprivilegierungen für Online-Dienste bei der Verbreitung illegaler Inhalte beibehält. Damit haften Vermittlungsdienste zunächst nicht selbst, wenn Nutzer über ihre Dienste illegale Inhalte verbreiten. Es gibt auch keine allgemeine Überwachungspflicht der Anbieter.

Nach unserer Erfahrung sind weitaus mehr Unternehmen und Angebote vom DSA erfasst, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Viele wissen noch nichts von ihrem Glück. 😉 Unser Beitrag gibt einen Überblick über die Einordnung.

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Wer wird vom DSA erfasst?

Vermittlungsdienste

Der DSA richtet sich zunächst an alle Vermittlungsdienste, die innerhalb der EU ihre Dienste anbieten. Diese Dienste umfassen reine Durchleitungs-, Caching- und Hostingdienste. Während Durchleitungs- und Cachingdienste Infrastrukturangebote erfassen (z.B. VPN- oder CDN-Anbieter), ist der Begriff des Hostingdiensts denkbar weit zu verstehen. Denn ein Hostingdienst ist jedes Angebot, das vom Nutzer bereitgestellte Informationen in dessen Auftrag zwischenspeichert. Sobald ich als Nutzer also die Möglichkeit habe, auch nur wenige Informationen bei einem Dienst abzulegen bzw. abzuspeichern, wird dieser zum Hostingdienst.

Nur Dienste, die in der Regel gegen Entgelt angeboten werden, können Vermittlungsdienst sein (Art. 3 lit. a DSA i.V.m. Art. 1 Abs. 1 lit. b RL (EU) 2015/1535). Darunter fällt gleichwohl (wie auch schon b3ei der E-Commerce-Richtlinie) eine werbefinanzierte Erbringung des Dienstes.

Online-Plattformen

In einem nächsten Schritt adressiert werden Online-Plattformen. Der Hostingdienst wird im Rahmen des DSA zur Online-Plattform, sobald die im Auftrag des Nutzers gespeicherten Informationen öffentlich verbreitet werden und es sich bei der Verbreitung nicht nur um eine unbedeutende oder reine Nebentätigkeit handelt. Online-Marktplätze, Foren, Online-Shops mit Kommentarfunktion und App Stores können beispielsweise Online-Plattformen sein.

Die Online-Plattform wird zur sehr großen Online-Plattform, wenn sie durchschnittlich mindestens 45 Millionen monatlich aktive Nutzer hat und gem. Art 33 Abs. 4 DSA von der Kommission als solche benannt wird. Als sehr große Online-Plattformen wurden von der Europäischen Kommission Alibaba AliExpress, der Amazon Store, der Apple AppStore, Booking.com, Facebook, Google Play, Google Maps, Google Shopping, Instagram, LinkedIn, Pinterest, Snapchat, TikTok, Twitter, Wikipedia, YouTube und Zalando eingestuft. Einige Unternehmen haben dagegen bereits geklagt.

Online-Suchmaschinen

Abschließend adressiert der DSA Online-Suchmaschinen. Ein Online-Suchmaschine ist ein Dienst, der Nutzern die webseitenübergreifende Suche basierend auf einer Nutzereingabe zu einem beliebigen Thema ermöglicht und die Suchergebnisse darstellt. Die Suche muss sich dabei aber auf potentiell unbegrenzte Inhalte erstrecken – eine einfache Suchfunktion auf einer Website ist im Grundsatz nicht erfasst.

Die Online-Suchmaschine wird zur sehr großen Online-Suchmaschine, wenn sie durchschnittlich mindestens 45 Millionen monatlich aktive Nutzer hat und von der Kommission als solche benannt wird. Darunter fallen aktuell nur die Google Suche und Bing.

Ausnahmen

Vereinzelt sieht der DSA Ausnahmen für Kleinst- und Kleinunternehmen gem. der Empfehlung 2003/361/EG vor. Kleinstunternehmen sind demnach Unternehmen die weniger als 10 Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz bzw. Jahresbilanz 2 Millionen EUR nicht überschreitet. Kleinunternehmen sind Unternehmen, die weniger als 50 Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz bzw. Jahresbilanz 10 Millionen EUR nicht überschreitet.

Die Kunst ist es nicht, den DSA zu verstehen, sondern den Dienst zu verstehen, der unter den DSA fällt.

Pflichten

 Kapitel II (Art. 4 – 10)

Haftung der Anbieter von Vermittlungsdiensten

Kapitel III, Abschnitt 1 (Art. 11 – 15)

Bestimmungen für alle Anbieter von Vermittlungsdiensten

Kapitel III, Abschnitt 2 (Art. 16 – 18)

Zusätzliche Bestimmungen für Hostingdiensteanbieter, einschließlich Online-Plattformen

Kapitel III, Abschnitt 3 (Art. 19 – 28)

Zusätzliche Bestimmungen für Anbieter von Online-Plattformen

Kapitel III, Abschnitt 4 (Art. 29 – 32)

Bestimmungen für Anbieter von Online-Plattformen, die Verbrauchern den Abschluss von Fernabsatzverträgen mit Unternehmern ermöglichen

Kapitel III, Abschnitt 5 (Art. 33 – 48)

Zusätzliche Verpflichtungen in Bezug auf den Umgang mit systemischen Risiken für Anbieter von sehr großen Online-Plattformen und sehr großen Online-Suchmaschinen

Durchleitungsdienstxx
Caching-Dienstxx
Hosting-Dienstxxx
Online-Plattformxxxx
Online-Plattform, die Verbrauchern den Abschluss von Fernabsatzverträgen mit Unternehmern ermöglichtxxxxx
Sehr große Online-Plattform (> 45 Mio. monatliche Nutzer)xxxxggf.x
Online-Suchmaschinestr.x (teilw. str.)
Sehr große Online-Suchmaschine (> 45 Mio. monatliche Nutzer)str.x (teilw. str.)x

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Die Pflichten im Rahmen des DSA basieren auf einem Stufensystem. Beginnend bei den allgemeinen Pflichten, die alle Vermittlungsdienste erfassen, kommen kumulativ weitere Pflichten für jede weitere erfüllte Stufe hinzu.

 

Stufe 1: Allgemeine Pflichten für Vermittlungsdienste

Die allgemeinen Pflichten treffen grundsätzlich jeden Vermittlungsdienst, insbesondere:

  • Dienste müssen zentrale Kontaktstellen einrichten, um für Behörden, die Kommission, dem Gremium und ihre Nutzer erreichbar zu sein. Hat der Dienst keine Niederlassung in der EU, muss eine juristische oder natürliche Person benannt werden, die in einem der Mitgliedstaaten als gesetzlicher Vertreter fungiert, sofern Dienste in der Union angeboten werden.
  • Anbieter werden weiter verpflichtet, ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen transparenter bezüglich verschiedener Fragen auszugestalten. So sind insbesondere Angaben bezüglich Beschränkungen in Bezug auf vom Nutzer bereitgestellte Informationen und Angaben über genutzte Verfahren zur Moderation zu machen.
  • Zudem müssen Anbieter jährlich klare, leicht verständliche Berichte über ihre Inhaltsmoderation in einem maschinenlesbaren Format und auf leicht zugänglich Art und Weise veröffentlichen.

 

Stufe 2: Zusätzliche Pflichten für Hosting-Dienste

Für Hosting-Dienste gelten insbesondere weitere Pflichten:

  • Nutzer müssen dem Anbieter über Melde- und Abhilfeverfahren rechtswidrige Inhalte melden können. Bei kleineren Plattformen ist denkbar, dass das mit einem einfachen Kontaktformular realisiert wird. Darüber hinaus ist allen von einer Beschwerde betroffenen Nutzern für gewisse Beschränkungen eine klare und spezifische Begründung vorzulegen.
  • Erwächst aus Kenntnis von Informationen der Verdacht auf Straftaten, so sind diese unverzüglich den Strafverfolgungs- oder Justizbehörden zu melden.

 

Stufe 3: Zusätzliche Pflichten für Online-Plattformen

Sofern keine Ausnahme für Kleinst- oder Kleinunternehmen gem. Artikel 19 DSA greift, kommen so dann Pflichten für Online-Plattformen hinzu:

  • Neben dem bereits erwähnten Melde- und Abhilfeverfahren, vertiefen sich die Pflichten für Online-Plattformen in diesem Zusammenhang weiter. Anbieter müssen ein internes Beschwerdemanagementsystem schaffen, damit Nutzer gegen bestimmte Entscheidungen vorgehen können. Zudem muss ein Verfahren für eine außergerichtliche Streitbeteiligung vorgehalten und Meldungen von vertrauenswürdigen Hinweisgebern vorranging behandelt werden.
  • Anbieter müssen ihr Angebot für Nutzer, die häufig und offensichtlich rechtswidrige Inhalte bereitstellen, für einen angemessenen Zeitraum nach vorheriger Warnung aussetzen.
  • Zudem kommen weitere Transparenzpflichten hinzu, etwa zur Anzahl der Aussetzungen des Dienstes für auffällig gewordene Nutzer, die wichtigsten Parameter von Empfehlungssystemen und die Möglichkeiten der Nutzer, diese Parameter zu ändern oder zu beeinflussen.
  • Anbieter werden auch Vorgaben an die Ausgestaltung von Werbung im Rahmen des Angebots der Online-Plattform sowie Regeln für den Minderjährigenschutz gemacht.
  • Gewisse Geschäftspraktiken im Rahmen der Online-Schnittstellen der Anbieter werden gänzlich verboten.
  • Ermöglicht die Online-Plattform außerdem Verbrauchern den Abschluss von Fernabsatzverträgen mit Unternehmern sind zusätzlich die Artikel 30 – 32 DSA zu berücksichtigen.

 

Stufe 4: Sehr große Online-Plattformen und sehr große Online-Suchmaschinen

Die meisten Pflichten treffen sehr große Online-Plattformen und sehr große Suchmaschinen:

  • Anbieter müssen alle systemischen Risiken in der Union bezüglich ihres Dienstes ermitteln, analysieren und bewerten. Auf der Basis müssen Anbieter sehr großer Online-Plattformen oder Suchmaschinen angemessene, verhältnismäßige und wirksame Risikominderungsmaßnahmen ergreifen.
  • Zudem muss eine externe jährliche Prüfung der Anbieter auf Kosten der Anbieter durchgeführt werden.
  • Umfangreiche Transparenzpflichten im halbjährlichen Intervall unterstreichen die strengen Pflichten für Dienste ab 45 Mio. monatliche Nutzer, etwa für Online-
  • Zudem müssen diese Dienste eine Complianceabteilung bestehend aus mehreren Mitgliedern schaffen, die die Einhaltung der Pflichten des DSA überwacht.

 

Was jetzt zählt

Der DSA entfaltet seine Wirkung bereits ab 17. Februar 2024, einzelne Pflichten gelten schon heute. Nach unserer Erfahrung fallen viele Unternehmen unter den Digital Services Act, ohne das zu wissen.

Je nach Klassifizierung müssen Anbieter eine Vielzahl an Pflichten unter dem DSA umsetzen. Um effizient Orientierung zu gewinnen, empfehlen wir folgendes Vorgehen:

  • In einem ersten Schritt müssen die Onlineangebote des Unternehmens betrachtet werden, um diese mit Blick auf den DSA zu scannen.
  • Im Anschluss daran gilt es, die Systeme und Angebote geschickt mit Blick auf den DSA anzupassen, um so insbesondere die hohen Bußgelder von bis zu 6 % des weltweiten Jahresumsatzes zu vermeiden.

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